Mund, Zähne und Kiefer

Zucker: Gift nicht nur für die Zähne

Zucker ist Gift für die Zähne, das lernen Kinder schon im Kindergarten. Aber der ganze Organismus leidet unter zu hohem Zuckerkonsum, der das Immunsystem schwächt, die Infektanfälligkeit vermehrt und Krankheiten auslöst.

08.09.2023
 Foto: AdobeStock/NADEZHDA Schön fürs Auge  –  aber Gift für Zähne und den ganzen Organis- mus.	 Foto: AdobeStock/Elena Schweitzer Foto: AdobeStock/NADEZHDA Schön fürs Auge – aber Gift für Zähne und den ganzen Organis- mus. Foto: AdobeStock/Elena Schweitzer

Wenn es um das Thema Ernährung geht, ziehen Medizin und Zahnmedizin an einem Strang, und die Gemeinsamkeiten liegen auf der Hand. Denn ernährungsassoziierte Erkrankungen sind mittlerweile so verbreitet, dass sie die Hauptursache aller Todesfälle weltweit darstellen. Auch den Mundraum verschonen sie nicht. Und das ist keineswegs trivial, denn eine entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparats (Parodontitis) etwa hat erwiesenermaßen weitere direkte Auswirkungen auf die systemische Erkrankung Diabetes Mellitus. Inzwischen werden über ein Drittel aller Kosten im Gesundheitssystem durch nichtübertragbare Erkrankungen (englisch: noncommunicable diseases, NCDs) verursacht. Medizin und Zahnmedizin identifizieren in der Ursachenforschung unter anderem einen gemeinsamen Grund: den wachsenden Zuckeranteil in unserer Nahrung, wie die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) informiert.
„Der stetig steigende Zuckeranteil in der Ernährung ist einer der wichtigsten Gründe für diese dramatischen Zahlen. Zucker wird heute als dosisabhängiges Gift betrachtet“, erklärt der Ernährungsmediziner und Diabetologe Dr. Matthias Riedl aus Hamburg. „Die Vielzahl an gesundheitlichen Folgen eines hohen Zuckerkonsums erstreckt sich in ein erhöhtes Entzündungspotential von Zahn, Zahnfleisch, Gelenken, der Haut und anderer Organe. Des weiteren wird das Immunsystem geschwächt und die Infektanfälligkeit erhöht sich. Magen- und Darmbeschwerden werden gefördert. Die Darmflora leidet unter hohem Zuckerkonsum. Sogar Schlafprobleme können auftreten.“
Zu den bekanntesten gesundheitlichen Risiken gehöre Diabetes Mellitus Typ 2. Es werde vermutet, dass schon im Jahr 2040 etwa 12,3 Millionen Menschen allein in Deutschland an Diabetes erkrankt sein werden, wenn sich der Zuckerkonsum nicht verringere. Beschleunigte Arterienverkalkung mit hoher Infarktgefahr sei eine der wichtigsten Folgen des Diabetes Mellitus. Riedl nannte dabei erschreckende Zahlen: „Rund 70 Prozent der 60.000 Amputationen in Deutschland werden bei Menschen mit Diabetes durchgeführt.“
Und DGZMK-Präsident Prof. Dr. Roland Frankenberg (Universität Marburg) führt aus: „Ernährung spielt für den gesunden Mundraum eine ebenso entscheidende Rolle, wie sie es auch für den intakten Gesamtorganismus tut. Zucker stellt dabei zweifelsfrei den klassischen ‚Common Risk Factor‘ dar, der Zahnmedizin und Medizin vereint wie kein zweiter Stoff. Das Paradebeispiel ist dabei der Einfluss von Zucker auf die Kariesentstehung: Ohne Zucker keine Karies – so einfach ist das!“
Aber auch mit Zucker wäre Karies kein Problem, wenn alle Menschen im Rahmen der häuslichen Mundhygiene ihre Zähne zu 100 Prozent sauberputzten. Ohne bakteriellen Biofilm könne keine Karies entstehen, weil immer Zucker und Bakterien vorhanden sein müssten. „Das Problem ist: 100 Prozent saubere Zähne sind eine Illusion, und daher ist ein vernünftiger Umgang mit zuckerhaltiger Ernährung aus kariologischer Sicht extrem wichtig“, macht der DGZMK-Präsident deutlich.
Die Warnung vor hohem Konsum der problematischen Substanz hat heute schon deshalb ihre Relevanz, weil der Zuckerkonsum von unter 1 kg pro Kopf pro Jahr vor dem Jahr 1800 im Rahmen der Industrialisierung auf über 30 kg pro Kopf pro Jahr regelrecht explodiert ist. Mit verheerenden Folgen. Prof. Dr. Johan Peter Wölber (Uni Freiburg): „Während archäologische Funde von Gebissen vor dem Neolithikum und Gebisse von wildlebenden Tieren kaum Karies aufweisen, zeigen moderne Bevölkerungen in Industrienationen erheblich erhöhte Prävalenzen an Karies. Neuere zusammenfassende Untersuchungen zeigen, dass der Zuckerkonsum auch zur Entstehung einer Gingivitis (Zahnfleischentzündung) beiträgt und mit mehr Parodontitis assoziiert ist“, erläutert Wölber. Neuere Interventionsstudien, die eine Zuckervermeidung der Probandinnen und Probanden beinhalteten, konnten sogar trotz gleichbleibendem oder vermehrtem Zahnbelag eine Reduktion der Zahnfleischentzündung zeigen.
Die Quintessenz der Wissenschaftler: Die Gesundheitspolitik ist in Sachen Zuckervermeidung dringend gefordert, etwa im Sinne der Verhältnisprävention. Konkret setzt sich die DGZMK für Werbeverbote für stark zuckerhaltige Lebensmittel ein, für Zuckersteuer und bessere Kennzeichnung in Supermärkten. Angesichts der großen wissenschaftlichen Evidenz zu den krankmachenden Folgen hohen Zuckerkonsums sei der Gesetzgeber hier in seiner Fürsorgepflicht gefordert.

(eva/red)