Frauen- und Männergesundheit

Anno dazumal: Bader, Beryll und Brille

Wer schlecht sehen kann, bekommt eine Brille oder Kontaktlinsen und sieht damit die Welt wieder klar. In früheren Zeiten war das nicht so einfach. „Starstecher“ trieben ihr Unwesen und die moderne Brille gab es noch lange nicht.

25.04.2024
Sehhilfen gab es schon in der Antike  –  allerdings sind ihre modernen Varianten wie Brille und Lupe längst nicht so alt, wie man glauben könnte.  Foto: AdobeStock/SemA  Foto: AdobeStock/Sergey Kohl und alhontess  Foto: AdobeStock/alhontess Sehhilfen gab es schon in der Antike – allerdings sind ihre modernen Varianten wie Brille und Lupe längst nicht so alt, wie man glauben könnte. Foto: AdobeStock/SemA Foto: AdobeStock/Sergey Kohl und alhontess Foto: AdobeStock/alhontess
Foto: Alexander Sell

Dr. Clara Park
Radiologin
RNS Gemeinschaftspraxis
Wiesbaden



Die Welt nur trübe, undeutlich und verschwommen zu sehen, war in der Vergangenheit kein kleineres Problem als heute – nur konnte man es nicht so erfolgreich lösen wie Augenärzte und Optiker des 21. Jahrhunderts. Blindheit war in früheren Jahrhunderten gefürchtet, drohten doch oft Armut und Not als ihre Folge: Wer nicht (mehr) sehen konnte, konnte nicht arbeiten, und vielen Blinden blieb nichts anderes übrig, als ihren kargen Lebensunterhalt zu erbetteln und von den Almosen mitleidiger Zeitgenossen ein trostloses Dasein zu fristen.
Wundärzte und Quacksalber hatten regen Zulauf, verkauften Tränke und Tinkturen, die uns heute suspekt vorkommen. Grund genug für die Mikrobiologin Freya Harrison von der britischen Nottingham University, im Jahr 2017 ein Rezept gegen Gerstenkörner am Auge aus dem vor über elf Jahrhunderten verfassten „Bald‘s Leechbook“ („Balds Arzneibuch“) zu untersuchen. Das Buch befindet sich in der British Library und enthält etliche Rezepturen für Heilmittel aller Art. Für die Augensalbe werden in einem Kupferkessel Porree, Weißwein, Ochsengalle und Knoblauch gekocht. Das Gemisch muss neun Tage ziehen, bevor es durch ein Tuch gepresst wird. Nahezu unfassbar ist das Ergebnis, das die Mikrobiologin und ihr Team nach umfangreichen Untersuchungen veröffentlichen konnten: Wenn auch die einzelnen Komponenten natürlich nicht helfen, so wirkt doch die Wirkstoffkombination tatsächlich antibakteriell und zeigt sogar antibiotische Wirkung, die sich durchaus mit modernen Antibiotika messen kann. Aber auch, wenn diese eine Salbe tatsächlich gewirkt haben dürfte, waren die medizinischen Möglichkeiten marginal.
Eine gefürchtete Augenerkrankung war der Graue Star. Die Trübung in der Pupille wurde als „Wölkchen im Stern“ bezeichnet, wie Marion Maria Ruisinger vom Institut der Geschichte der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg auf www.habsburger.net schreibt. Heilkundige versuchten bis ins 18. Jahrhundert hinein, durch Aderlässe das Blut des Patienten zu reinigen und damit das „Wölkchen“ aufzulösen. Wenn das nicht half, wurde operiert: Selbsternannte „Okulisten“ stachen dem Patienten mit einem speziellen Messer ins Auge und drückten die trübe Linse tief in den Augapfel hinein. Schlagartig konnte der Patient besser sehen

wenn die Operation denn gelang. Noch Johann Sebastian Bach unterzog sich 1750 gleich zweimal einen solchen „Starstich“. Er hat es nicht überlebt.
Die Methode des „Starstechens“ wurde schon in vorchristlicher Zeit in den Hochkulturen rund um das Mittelmeer praktiziert. Viel geändert hat sich über Jahrtausende nichts an der Art der Operation, die noch heute in ähnlicher Weise in Ländern der Dritten Welt durchgeführt wird.
Im Mittelalter zogen Bader von Ort zu Ort und vollführten den „Starstich“ öffentlich auf Marktplätzen, unter großem allgemeinem Interesse und miserablen hygienischen Bedingen, ohne Betäubung und zum Gaudium der Schaulustigen, die sich um den bedauernswerten Patienten drängten. Fast immer führte ein solcher Eingriff zu schweren und überaus schmerzhaften Augenentzündungen, die oft eine vollständige Erblindung zur Folge hatten. Der Bader reiste weiter, ehe man ihn zur Verantwortung ziehen konnte und ließ sich so bald nicht mehr sehen.
Im 18. Jahrhundert bildete sich allmählich die Augenheilkunde als eigener Zweig der Medizin heraus. Doch erst im 19. Jahrhundert konnten durch die Erfindung des Mikroskops und des Augenspiegels Meilensteine in Diagnostik und Therapie gesetzt werden.
Doch natürlich haben die Menschen schon viel früher mit

optischen Phänomenen experimentiert. So wurde bereits in der Antike entdeckt, dass Glas eine vergrößernde Wirkung hat. Der griechische Mathematiker und Physiker Archimedes hat schon im 3. Jahrhundert v. Chr. die Brechungsgesetze von Linsen untersucht. Dabei soll er Kristalle als Sehhilfe benutzt haben. Rund 500 Jahre später wurden erste Ideen von Vergrößerungswirkungen entwickelt. Es dauerte dann aber noch bis etwa 1000 n. Chr., bis der arabische Wissenschaftler Ibn al-Haitham die Idee hatte, das Auge durch eine geschliffene optische Linse zu unterstützen.
Um 1250 kamen dann die „Lesesteine“ auf: Westeuropäische Franziskaner-Mönche fertigten aus Bergkristall oder auch aus dem Halbedelstein Beryll geschliffene Linsen an, die eine vergrößernde Wirkung hatten

und (Sprach-)Geschichte schrieben: Vom geschliffenen Beryll leitet sich unser heutiger Begriff „Brille“ ab. Die Lesesteine verbreiteten sich rasch in der geistlichen und weltlichen Gelehrtenwelt des Mittelalters und wurden stetig weiter verbessert. Geradezu spektakulär war die Idee, die kleiner und flacher geschnittenen Linsen in einen Rahmen zu fassen und zusammen zu nieten. Diese sogenannte „Nietbrille“ war eine absolute Kostbarkeit, die sich nur wenige leisten konnten. Sie wurde – ähnlich dem späteren Zwicker – auf die Nase geklemmt oder mit einem Stiel vor die Augen gehalten. Weil sie fast ausschließlich von Gelehrten getragen wurde, die ja im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen lesen und schreiben konnten und gerade in zunehmendem Alter eine Sehhilfe brauchten, galten diejenigen, die eine dieser frühen Brillen trugen, bald als weise, gebildet und intelligent: Eine Vorstellung, die sich über Jahrhunderte gehalten hat.
Im Mittelalter wurde weiter an den Sehhilfen und vor allem an ihrer Anwendungsweise experimentiert: Am wichtigsten war die Erfindung der Bügelbrille, die beide Gläser mit einem Bügel verband. Diese Brillenart konnte schon relativ komfortabel auf die Nase gesetzt werden. Damit das kostbare Stück nicht herunterfiel, wurde die Brille an der Mütze befestigt oder mit Hilfe eines Reifens, der auf die Stirn gelegt wurde, getragen. Alternativ gab es seit dem 16. Jahrhundert die sogenannte „Fadenbrille“, die von einem Faden an den Ohren oder am Hinterkopf gehalten wurde, wie das Sehzentrum Westallgäu informiert.
Vom 17. bis ins 19. Jahrhundert hatten dann der Zwicker, das Monokel und das Lorgnon ihre Blütezeit. Während der kostbar verzierte Stiel des Lorgnons meist von eleganten Damen graziös vor die Augen gehalten wurde, war das Monokel ein typisches Accessoire des Dandys, der das Glas zwischen Wange und Oberlid klemmte.
Die ersten Brillen übrigens konnten noch keine Kurzsichtigkeit korrigieren, denn erst im 16. Jahrhundert wurde die verkleinernde Wirkung konkaver Gläser entdeckt. Der amerikanische Staatsmann Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, störte sich mit zunehmendem Alter daran, ständig zwischen seiner normalen Fernbrille und seiner Lesebrille wechseln zu müssen. Er hatte 1784 die Idee, beide Linsenarten zu kombinieren – damit hatte er die Gleitsichtgläser erfunden.
Unsere heutige „Ohrenbrille“, die mit entsprechend gebogenen Bügeln um die Ohren getragen wird, gibt es übrigens erst seit 1797. Damals entwickelte der Optiker Dudley Adams diese Brillenform, die sich endgültig durchsetzte und die seitdem immer weiter verbessert wurde. Rund 500 Jahre hat es also gedauert, bis sich die Brille, wie wir sie heute kennen, entwickelt hat.

Dr. Eva Wodarz-Eichner