Allgemeine Medizin

Künstliche Befruchtung oder nicht?

Dr. Annette Bachmann, Leiterin der Abteilung gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt, spricht im Interview über die Chancen und Herausforderungen, Wunschkindern auf die Welt zu helfen.

23.11.2023
Fotos: AdobeStock/Visual Generation Dr. Annette Bachmann leitet das Kinderwunschzentrum am Universitätsklinikum Frankfurt.  Foto: Christoph Lunkenheimer Foto: AdobeStock/Visual Generation Fotos: AdobeStock/Visual Generation Dr. Annette Bachmann leitet das Kinderwunschzentrum am Universitätsklinikum Frankfurt. Foto: Christoph Lunkenheimer Foto: AdobeStock/Visual Generation

Wie ist die aktuelle Nachfrage nach Kinderwunsch-Behandlungen? Nimmt sie tendenziell zu oder eher ab? Liegt Deutschland damit im internationalen Schnitt der Industrieländer?
Insgesamt steigt der Bedarf an Kinderwunschbehandlungen kontinuierlich an. Die Entwicklung aus unserem Kinderwunschzentrum spiegelt dabei die Daten des deutschen IVF Register wieder. Eine veränderte Lebensplanung mit Verlagerung des Kinderwunsches in spätere Lebensphasen ist ein wichtiger Grund. Andererseits stellen auch Faktoren wie zum Beispiel Übergewicht und Adipositas, die sich negativ auf die Fertilität (Fruchtbarkeit) auswirken, ein immer größeres Problem dar. Gemäß einer Analyse der OECD in Deutschland hat sich der Anteil adipöser Erwachsener innerhalb von nur 15 Jahren von 12% auf knapp 24% nahezu verdoppelt. Darüber hinaus leiden fast zwei Drittel aller Männer und etwa die Hälfte aller Frauen an Übergewicht. Dieser negative Trend ist in allen westlichen Industrieländern zu sehen. Es gibt aber auch erfreuliche Gründe. Immer mehr Menschen überleben dank besserer Therapien Krebserkrankungen und andere schwere Erkrankungen und können so ihren Kinderwunsch dank fertilitätserhaltender Maßnahmen und den Methoden der künstlichen Befruchtung erfüllen.

In welchem Alter sind in der Regel die Frauen, die mit einem Kinderwunsch zu Ihnen kommen?
Das Durchschnittsalter unserer Patientinnen liegt derzeit bei 37 Jahren.

Bis zu welchem Alter ist eine Behandlung möglch beziehungsweise sinnvoll?
Wenn wir uns auch hier die Daten des aktuellen Jahrbuchs des deutschen IVF Registers ansehen, sieht man, dass die Lebendgeburtrate
(der Anteil an Kindern, die nach einer künstlichen Befruchtung mit einem Embryotransfer zur Welt kommen), im Alter von 42 Jahren auf unter 10 % absinkt. Internationale Fachgesellschaften wie die ASRM sehen die ethisch vertretbare Grenze im Alter von 43 Jahren. Ab einem Alter von 45 Jahren übersteigen die körperlichen Risiken einer Schwangerschaft für Mutter und Kind (zum Beispiel durch das steigende Risiko für hypertensive Schwangerschaftserkrankungen oder Präeklampsie (Schwangerschaftsvergiftung) die Erfolgsaussichten zu deutlich. Eine Kinderwunschbehandlung sollte in diesem Alter nicht mehr angeboten werden.

Was sind die häufigsten/gängigsten Methoden?
Es muss nicht immer sofort eine künstliche Befruchtung durchgeführt werden. In manchen Fällen kann es auch ausreichen, eine Ovulationsstörung (Störung der Fruchtbarkeit durch unregelmäßigen oder komplett ausbleibenden Eisprung) zu behandeln. Hier kann mit einer milden Stimulation und einer Spritze zum Auslösen des Eisprungs eines Follikels (Eibläschens) und anschließendem Verkehr zum optimalen Zeitpunkt (VZO) geholfen werden. Das Fenster von zwei bis drei Tagen für den besten Zeitpunkt, schwanger zu werden, kann so genau festgelegt werden. Eine intrauterine Insemination (IUI) stellt die nächste Behandlungsstufe dar. Sie kann Paaren zum Erfolg verhelfen, wenn bestimmte leichte Einschränkungen der Ejakulatparameter (wie zum Beispiel eine verlängerte Verflüssigungszeit) vorliegen, wenn das Paar keinen Verkehr haben kann oder aber auch wenn eine idiopathische Sterilität vorliegt (das heißt, keine erkennbare Ursache gefunden werden kann.)
Wenn eine höhergradige Einschränkung der Fruchtbarkeit vorliegt und zum Beispiel die Funktion der Eileiter gestört ist, ist eine InVitroFertilisations (IVF)-Behandlung indiziert. Hier werden in einer Stimulationsbehandlung von etwa 10 Tagen so viele Follikel wie möglich und sicher für die Patientin zur Reifung gebracht und nach Auslösen des Eisprungs durch ultraschallgesteuerte Punktion vaginal entnommen. Diese werden dann in gleicher Weise wie bei einer natürlichen Befruchtung im Eileiter in einer Petrischale unter Körperbedingungen außerhalb des Körpers mit aufgearbeiteten Spermien zusammengebracht. Spermien und Eizellen entscheiden selbst in einer natürlichen Selektion, welches Spermium in die Eizelle eindringt und diese befruchtet.
Nur wenn die Spermienqualität so sehr eingeschränkt ist, dass eine andere Behandlung nicht erfolgreich sein kann, ist eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) indiziert. Dafür wird die Eizelle aus dem sie umgebenden Granulosazellkomplex herausgelöst und unter dem Mikroskop ein Spermium ausgesucht, das dann in die Eizelle injiziert wird. Die Lebendgeburtraten bei der IVF Behandlung sind etwas besser als bei der ICSI Behandlung.

Gibt es Risiken für die Gesundheit der Frauen?
Die Techniken der Reproduktionsmedizin auf neuestem Stand sind sicher. Das Risiko von Überstimulationen als Folge der Hormontherapie lag in einer aktuellen Auswertung des deutschen IVF Registers bei 0,3%, Komplikationen der Eizellentnahme wie zum Beispiel Blutungen lagen bei 0,9%. Wichtig zu wissen ist, mit zunehmendem Gewicht steigt aber eben auch das Risiko der Behandlung und auch das Risiko an Krebs zur erkranken. Die Ursachen von Infertilität (Unfruchtbarkeit) können allein auch ohne Behandlung mit einem erhöhten Risiko an Krebs zu erkranken einhergehen. Wir handeln gut und sicher, wenn wir so wenig wie möglich und soviel wie nötig und dabei aber auch so effizient wie möglich behandeln.
Eine Optimierung des Lebensstils ist die effizienteste Methode die Risiken einer Behandlung weiter zu reduzieren.

Gibt es Frauen, denen Sie keine Kinderwunschbehandlung empfehlen? Warum?
Über die Altersgrenzen haben wir bereits gesprochen. Bei vorbestehenden Grunderkrankungen beginnen wir eine Kinderwunschbehandlung erst, wenn weitestgehend sichergestellt ist, dass keine Gefahr für Mutter und Kind von der Schwangerschaft ausgeht, das heißt die Patientin auch gesund genug ist, um gut durch die Zeit der Schwangerschaft und Geburt zu kommen.

Ist das Fehlgeburtsrisiko nach einer Kinderwunschbehandlung ähnlich wie bei anderen Schwangerschaften?
Ja, auch hier ist das Alter der Patientin der wesentlichste Faktor.

Treten nach einer Kinderwunschbehandlung häufiger Komplikationen bzw. Risikoschwangerschaften auf als sonst?
Die größten Risiken bestehen bei einer Mehrlingsschwangerschaft. Dieses Risiko können wir aber kontrollieren, indem wir die Anzahl der Follikel überwachen, bevor wir einen Eisprung auslösen und nur einen Embryo übertragen, das heißt einen single Embryotransfer (SET) durchführen. Das ist in unserem Zentrum bereits Behandlungsstandard.

Nicht alle Methoden sind ja in Deutschland zugelassen, manche Paare weichen ins Ausland aus. Wo ziehen Sie selbst eine ethische Grenze?
Im Moment besteht eine sehr uneinheitliche Rechtslage in Europa, die Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheit im Hinblick auf den Zugang zu Maßnahmen der Reproduktionsmedizin für Frauen und Paare auch innerhalb der EU erschweren. Ein Einklang der vier Prinzipien der Medizinethik: Respekt vor der Autonomie des Patienten, Schadensvermeidung, Fürsorge und Gerechtigkeit hat für mich in der Reproduktionsmedizin ganz besonders große Bedeutung.

Wie viele Versuche braucht man erfahrungsgemäß, bis es "klappt"? Und wenn es dann geklappt hat - kommen Eltern häufig ein zweites und drittes Mal oder bleibt es dann bei einem Kind?
Auch hier ist das Alter ein ganz entscheidender Faktor. Aber unabhängig vom Alter über alle Altersklassen hinweg sind nach vier Embryotransfers 67,1 % der behandelten Frauen schwanger. Viele Paare kehren nach einer erfolgreichen Behandlung mit dem Wunsch nach einem zweiten Kind zu uns zurück. Viele greifen dabei zunächst auch auf kryokonservierte, eingelagerte befruchtete Eizellen aus der Behandlung für das erste Kind zurück.

Welche Leistungen werden von der Kasse übernommen, welche nicht? Mit welchen Kosten müssen Patientinnen gegebenenfalls rechnen?
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen in der Regel die Hälfte der Behandlungskosten für drei Behandlungsversuche einer künstlichen Befruchtung. Das Leistungsspektrum einzelner Krankenkassen kann sich aber unterscheiden und ändert sich regelmäßig. Die Kosten für eine Kryokonservierung (Einfrieren) überschüssiger befruchteter Eizellen werden in der Regel nicht übernommen.

Auf wie viele glückliche Babys (und Eltern) blicken Sie schon in Ihrem Kinderwunschzentrum zurück?
Seit ich die Abteilung im Jahr 2018 übernommen habe, sind über 700 Kinder aus unseren Behandlungen auch in schwierigen Fällen entstanden. Nachdem die pandemiebedingten Einschränkungen es wieder erlauben, bekommen wir auch wieder häufiger Besuch und dürfen uns mit den Eltern über den Erfolg unserer Behandlung freuen. Das ist die schönste Motivation, gemeinsam mit unseren Kinderwunschpaaren auch weiterhin hart zu arbeiten.

Die Fragen stellte Dr. Eva Wodarz-
Eichner